Was ist geistiges Heilen?
Walt Disneys Zeichner boten auf ihre Weise eine Antwort an: Als Donald Duck die Beule auf Tracks Stirn wegzaubern will, treten leuchtende Blitze aus seinen Fingerspitzen aus, die "bsssssss" durch die Kopfhaut dringen – und "schwupp" schwillt die Wölbung ab.
Das Comic entspricht einem weitverbreiteten Bild. Ein Geistheiler, so legt es nahe, kuriert Kranke, indem er sie mit bloßen Händen "bestrahlt". Doch dieses Bild führt in mehrerlei Hinsicht in die Irre.
Geistiges Heilen ist mehr als "Heilen mit den Händen", ebenso wie sich Psychotherapie nicht in Psychoanalyse erschöpft. Bei näherer Betrachtung stößt man auf eine ganze Familie von therapeutischen Verfahren, die mit denkbar unterschiedlichen Vorgehensweisen, Theorien und kulturellen Hintergründen verbunden sind.
Die älteste und verbreitetste Form, mit einer jahrtausendealten christlichen Tradition, ist das Handauflegen. Im Westen neuerdings in Mode gekommen sind Spielarten wie Reiki, Qi Gong, Chakra-Therapie, Prana-Heilen und Therapeutic Touch, die das ursprünglich eher intuitive Handauflegen methodisch verschult und theoretisch überbaut, aber nicht unbedingt effektiver gemacht haben.
Beim Fernbehandeln sind Heiler und Patient räumlich voneinander getrennt – manchmal Tausende von Kilometern.
Beim Gruppenheilen werden Kranke innerhalb eines größeren Kreises von Menschen behandelt, deren Heilfähigkeiten sich vereinen und dadurch verstärken sollen.
Beim Gebetsheilen (auch Gesundbeten) rufen Heiler, Kranke oder beide gemeinsam höheren Beistand an. Die meisten Geistheiler arbeiten vor einem solchen religiösen Hintergrund: Sie verstehen sich als Werkzeuge Gottes, als "Heilsorger" sozusagen.
Viele Heiler verstehen sich als "Medien": als Mittler zwischen dem Diesseits und der geistigen Welt, von deren Wissen und Kräften sie sich geführt wähnen – in Europa besonders ausgeprägt im britischen Spiritualismus, ebenso in spiritistischen Glaubensgemeinschaften der Dritten Welt. Zum medialen Heilen zählt auch ein Großteil der sogenannten Psychochirurgie (Logurgie), die vor allem in Brasilien und auf den Philippinen verbreitet ist, vereinzelt aber auch schon in Westeuropa mehr oder minder qualifizierte Nachahmer findet.
Beim Exorzismus werden dem Kranken vermutete Fremdenergien "ausgetrieben", die ihn anscheinend "besetzen". Diese gelten als eigentliche Verursacher seines Leidens: seien es Teufel, Dämonen, Totengeister oder Einflüsse von schwarzer Magie – oder auch nur von negativen Gedankenformen ("Elementale"), die sich angeblich ebenfalls in uns festsetzen und Krankheiten auslösen können.
Beim Schamanismus versetzt sich der Heiler in einen ekstatischen Bewußtseinszustand, in dem sich seine Seele mit Geistwesen verbünden kann. Aus deren übermenschlichem Wissen und Können schöpft er angeblich die Macht, Erkrankungen zu erkennen und zu beseitigen.
Beim Heilen mit Fetischen, einer nicht nur im Schamanismus verbreiteten Heilweise, werden eigentlich "leblose" Gegenstände als (Über-)Träger von Heilenergien eingesetzt: seien es Tücher, Asche, Wasser, Öl, Steine, Stanniol oder sonstige Objekte. Die Rolle des Heilers beschränkt sich darauf, solche Gegenstände "energetisch aufzuladen".
Können bloße Worte eine magische Heilkraft besitzen? Auf dieser Überzeugung beruht das Besprechen. Ein geheimnisvoller Spruch scheint bisweilen auszureichen, um Patienten von hartnäckigen Warzen und Flechten, Allergien und Migräne, Gicht und Gürtelrose zu befreien.
Wieso werden all diese (und weitere) Verfahren unter den Sammelbegriff "geistiges Heilen" gebracht? Miteinander verbindet sie beinahe nichts – bis auf eine einzige Gemeinsamkeit: Die bloße Intention, die konzentrierte Absicht zu heilen, reicht offenbar häufig aus, Leiden entgegen ärztlichen Prognosen zu lindern oder gar zu beseitigen. Dabei werden keinerlei Hilfsmittel eingesetzt, die nach gegenwärtigem medizinischem Erkenntnisstand im beobachteten Ausmaß wirksam sein könnten. Was heilt, scheint insofern purer "Geist".
Wie soll "Geist", so verstanden, überhaupt Heilungsprozesse einleiten können? Heiler sprechen davon, eine einzigartige "Energie" oder "Kraft", ein "Licht" oder einen "Heilstrom" einzusetzen. Doch damit "bestrahlen" sie nicht, wie Donald Duck es tut – denn als Quelle dessen, was sie an Hilfesuchende weitergeben, sehen sie keineswegs sich selbst. Es soll "höheren" Ursprungs sein. Deshalb versehen sie es mit Attributen wie "göttlich", "kosmisch" und "universell". Schon deshalb dürfen wir Begriffe wie "Energie" oder "Kraft" nicht wörtlich nehmen, weil sie alle in der modernen Physik eine wohldefinierte Bedeutung haben, die auf das sonderbare Geschehen beim geistigen Heilen gerade nicht übertragbar ist.
Gemeint ist ein mysteriöses Etwas, von dem bisher nur dreierlei bekannt ist:
– Es gehorcht menschlicher Intention. Irgendwie gelingt es Heilern, sie aufzunehmen und kontrolliert weiterzugeben.
– Es überwindet anscheinend beliebige Entfernungen, ohne sich abzuschwächen. (Dies zeigen Fälle von erfolgreichen "Fernbehandlungen".)
– Noch entzieht es sich physikalischer Meßtechnik, zumindest auf dem gegenwärtigen Entwicklungsstand.
Trotzdem braucht es nicht im Reich des "Immateriellen", "Nichtphysikalischen" angesiedelt zu werden. Was in dieser Welt Wirkungen entfaltet, kann nicht ganz außerhalb dieser Welt sein.
Ist geistiges Heilen also die Kunst, mit dieser merkwürdigen Kraft therapeutisch umzugehen? Das Selbstbild vieler Heiler deutet darauf hin. Die meisten verstehen sich als "Kanal" für eine Energie, die sie aufnehmen und weitergeben. Entsprechend umschreiben sie, was sie in Patienten bewirken: Energieströme werden wieder zum freien Fließen gebracht, Ungleichgewichte der Energieverteilung ausgeglichen, Auren geglättet, Energiezentren ("Chakras") gereinigt, geöffnet und geschlossen.
Gewiß, manches spricht für dieses Bild. Heilungen gelingen mitunter selbst dann, wenn der Behandelte nicht einmal ahnt, daß sie stattfinden – und psychologische Erklärungen folglich ausscheiden.2 In Labortests beeinflussen Heiler auf rätselhafte Weise Tiere und Pflanzen, Pilze und Bakterien, isolierte Zellen und Zellbestandteile, sogar anorganisches Material wie Wasser oder Kristalle – Zielobjekte also, denen wir schwerlich zutrauen würden, sich mit rein psychologischen Mitteln beeinflussen zu lassen. 3 Insofern erscheint Geistheilung als eine Behandlungsform, die entscheidend mit "Energie" zu tun hat.
Es geht ums Ganze
Aber Heiler sind nicht bloß wandelnde Transformatoren für unsichtbare Energieströme. Weitere wesentliche Elemente kommen hinzu: nämlich psychotherapeutische. Zwar können die wenigsten Heiler eine entsprechende akademische Ausbildung vorweisen. Was sie gleichwohl zustandebringen, lehrt indes, daß die Intuition des untrainierten Laien nicht geringgeschätzt werden darf, schon gar nicht in sozialen Beziehungen zwischen Helfern und Hilfesuchenden.
Zum einen spielen Visualisierungen, bildhafte Vorstellungen, bei allen Formen geistigen Heilens eine Schlüsselrolle. Ob in Heilerpraxen nun tatsächlich geheimnisvolle "Energien" übertragen werden oder nicht – in jedem Falle wird der Hilfesuchende dazu angehalten, sich ihren Transfer lebhaft auszumalen, und dies zumeist im Zustand tiefer Entspannung und verbunden mit mehr oder minder subtilen Suggestionen, der Fluß dieser "Energien" sei spürbar. Was die Simonton-Methode, die diese Elemente ohne jegliches esoterische Drumherum kombiniert, bei Krebskranken selbst in fortgeschrittenen Stadien noch zustandebringt, belegt eindrucksvoll, wieviel damit therapeutisch zu erreichen ist, selbst bei scheinbar ausweglosem körperlichen Leid. Wie die Erfolge geistigen Heilens lehren, hilft unserem "inneren Heiler" im Ernstfall offenbar eine bestimmte Art von mentalen Bildern ganz besonders:
Denn das Eigentümliche an dieser Therapieform ist, daß alle Beteiligten sich dabei von der Vorstellung eines Energieflusses leiten lassen. Und diese bloße Imagination aktiviert Selbstheilungskräfte womöglich besser, als es jede tatsächlich übertragene Energie je könnte.
Zum zweiten verwenden Heiler im allgemeinen beträchtliche Mühe und Ehrgeiz darauf, einen Hilfesuchenden heil zu machen: eine aus dem Gleichgewicht geratene Einheit von Körper, Geist und Seele wiederherzustellen. Das schließt ein, ihm Anstöße zu einer persönlichen Entwicklung zu geben, mit der wesentliche Vorbedingungen seines Krankseins verschwinden. Ein Großteil dieser Bedingungen wurzelt in einer unheilen Psyche: in einem unbewältigten Schicksal etwa, einem ungelösten Konflikt, einengenden Lebensumständen, mangelndem Selbstwertgefühl oder verlorenem Sinn. Den fähigsten Heilern gelingt es, mit ihren Klienten zu solchen Wurzeln der Erkrankung vorzustoßen. Das erfordert Weisheit, Geduld, Aufmerksamkeit und liebevolle Zuwendung – lauter Eigenschaften, die Patienten im modernen Medizinbetrieb zunehmend vermissen.